Geschiebe – Zeugen der Eiszeit aus dem Norden
Eiszeiten hat es in der erdgeschichtlichen Vergangenheit mehrfach gegeben. Die jüngste Vereisung fand im Pleistozän statt, wobei der ganze nordische Raum von einer Schnee- und Eisdecke überzogen war, die den heutigen Verhältnissen in der Antarktis vergleichbar war.
Eine charakteristische Hinterlassenschaft der Gletscher sind neben Moränen, Sanderflächen, Osern, und Söllen auch die Gesteinsstrände der Ostsee mit ihren Geschiebemergelkliffs (siehe oben). Kennzeichnend für diese Ablagerung ist die fehlende Schichtung und die Durchmischung aller Korngrößen vom feinsten Partikel bis hin zu den sog. Findlingen, die mehrere Kubikmeter umfassen können. Ein Charakteristikum bei Geschieben sind Gletscherschrammen oder sog. Kritzer (siehe unten rechts), die durch gegenseitige Reibung der Gesteine während ihres Transports entstehen.
Geschiebeforschung und die geowissenschaftlichen Nachbardisziplinen
Die Bedeutung der Geschiebe liegt hauptsächlich darin, daß sie vielfach die einzigen und damit unwiederbringlichen Dokumente der ehemaligen Bedeckung Nordeuropas darstellen. Entsprechend ist die Nordische Geologie das Hauptanliegen der Geschiebeforschung. Wesentliche Teile der Erdgeschichte Baltoskandiens und auch Norddeutschlands können nur noch über das Studium der Geschiebe ermittelt werden. Letzteres trägt auch ganz wesentlich zu einer Erweiterung unserer Kenntnis über die Geologie des Ostsee-Untergrundes bei.
Auch die heutigen Vereisungsgebiete sollen in die Studien mit einbezogen werden, wobei die im nordischen Vereisungsgebiet entwickelten Methoden z.B. für die Antarktisforschung eine besondere Bedeutung besitzen. Für diesen Kontinent, der zu fast 98% von Eis bedeckt ist, kann man aus den am Rande lagernden Geschieben Informationen über den geologischen Bau und die Eisbewegung gewinnen. Wie das Abfließmuster der Antarktis zeigt, treten auch dort keine größeren Entfernungen auf, als sie bei nordischen Geschieben (bis 1500 km Transportweg) nachgewiesen wurden.
Die Paläontologie ist einer der ältesten Bereiche innerhalb der Geschiebeforschung. Viele Fossilgruppen wurden überhaupt erst durch Geschiebefunde bekannt und sind z.T. sehr wichtige Leitfossilien geworden (z.B. Chitinozoa, Ostracoda, Trilobita). Darüber hinaus gibt es Formen, die bis heute noch nicht im Anstehenden gefunden wurden.
Im Bereich der Mineralogie und Petrographie hat die Geschiebeforschung zur Entdeckung der größten Kupfererzlagerstätte Europas in Outokumou, Finnland geführt. Da die Verbreitung von Geschieben gewissen Gesetzmäßigkeiten unterliegen, sind sie entsprechend des Gletscherverlaufs in sog. Streufächern angeordnet. Bei der Rückverfolgung eines solchen Streufächers kann man daher die Quelle eines Geschiebes ermitteln.
Interessant, wenn auch nicht in wirtschaftlichem Umfang, sind Goldfunde, die nach Goldgräbermentalität in Kieswaschanlagen ausgesiebt werden. Die größten bisher gefundenen Aggregate messen mehrere cm.
Geschiebekundliche Untersuchungen zur Sedimentologie und Flachlandsgeologie umfassen zwei ineinandergreifende Bereiche. Es geht hier um statistische Untersuchungen zur regionalen und stratigraphischen Charakterisierung von Moränen sowie im Falle des Rheins auch zur Flussgeschichte. Im Falle des Rheins konnte durch Geschiebeuntersuchungen ein von der heutigen Situation abweichender Verlauf nachgewiesen werden.
Geschiebeforschung – die Mutter der Quartärgeologie
Die Anfänge der Geschiebeforschung reichen bis weit ins 17. Jahrhundert zurück. Bereits 1606 beschrieb H. R. Räßmann einige Moränen im Schweizer Raum. In der folgenden Zeit postulierten einige Wissenschaftler, dass im Quartär ein anderes Klima geherrscht habe. Funde von Mammut und Waldelefant gelten als Belege dafür. Die entscheidende Frage nach der Herkunft der Gesteine beantwortete die Identifizierung von Sedimentärgesteinen aus Mecklenburg und Pommern mit dem anstehendem Orthocerenkalk aus Südschweden. Damit war die Heimat der Geschiebe geklärt. Damit war die Heimat der Geschiebe geklärt. Für ihren Transport stellte von Ahrenswald (1775) eine erste Fluthypothese auf. 1790 postulierte G.A. von Winterfeld die erste Drifthypothese, die der Engländer Charles Lyell 1835 mit dem Aktualitätsprinzip untermauerte. George Cuvier (Georg Küfer) stellte seine Theorie der Rollsteinflut auf.
Das Fehlen jeglicher Meeresfossilien in den Geschiebemergeln sowie das Auftreten großer Schollen (bis zu 50-80 Mio. m3) machte beide Theorien unglaubwürdig. Am 3. November 1875 auf der Sitzung der Deutschen Geologischen Gesellschaft begründete der Schwede Otto Torell die Inlandeistheorie, und zwar an Hand von eisgekritzten Muschelkalk von Rüdersdorf bei Berlin, der während einer vorhergehenden Exkursion begutachtet werden konnte. Mit der nun endlich durchgesetzten nordeuopäischen Inlandeistheorie war auch der Grundstein gelegt für die Quartärgeologie, so daß die Geschiebeforschung, die letzlich zur Glazialtheorie führte, den Namen „Mutter der Quartärgeologie“ bekam.
Wer weitere Informationen zur Entstehung der Inlandeistheorie wünscht, sei auf die Publikation von Karlheinz Kaiser (1975) [Eiszeitalter u. Gegenwart Vol. 26] verwiesen.